04.11.2011 | von Dracovina | | Kommentare (15)
So nah und doch so fern
Ich habe mir nun Gedanken darüber gemacht, ob ferne Liebe funktionieren kann, unter welchen Voraussetzungen es eine Bindung für die Ewigkeit werden könnte und ob es sich überhaupt lohnt nur in Erwägung zu ziehen eine Fernbeziehung zu führen.
Eines ist schonmal klar: Beziehungen auf Distanz sind immer mit mehr Problemen behaftet als "normale", bei denen man sich regelmäßig in kürzeren Abständen sieht. Wohnt man noch zu Hause/ist minderjährig, heißt es als erstes seine Eltern davon zu überzeugen, dass er/sie trotz Entfernung der/die Richtige für einen ist, dass sie es hundertprozentig schaffen werden die Entfernung zu überstehen und dass sie "groß" genug dafür sind, so eine weite Strecke von mehreren Hundert Kilometern alleine zu bewältigen, egal ob mit dem Auto, dem Zug oder dem Flugzeug. Schließlich ist es ja die Liebe seines Lebens und man würde alles für sie tun. Aber fühlt man nicht bei jeder Beziehung so? So sollte es zumindest sein.
Und wie sieht es mit den Finanzen aus? Besucht man den Partner, der ca 500 Km weit weg wohnt, einmal im Monat, dann kommen auch ca. 80-100 Euro Fahrtkosten zusammen (Zugkarte oder Benzin). Die Stunden, die dann vergehen, um endlich angekommen zu sein, sind auch nicht wenig. Es muss sehr viel Geld und Zeit dafür investiert werden, um nur in der Nähe seiner/seines Geliebten zu sein. "Normale" Pärchen können sich mal eben nach der Schule oder nach der Arbeit besuchen gehen, was bei Partnerschaften in einer Fernbeziehung nicht möglich ist. Alleine die Zeit würde fehlen, selbst wenn es noch gerade so passen würde, müsste sie/er nach ein paar Minuten wieder zurück fahren, um nicht zu spät zu Hause anzukommen. Also bleiben der Fernbeziehung nur die Wochenenden oder Ferien/Urlaubstage, in denen sie sich sehen und etwas gemeinsam unternehmen können.
Stellt euch mal vor, ihr würdet euren Partner, den ihr über alles liebt, nur ein bis zwei Wochenenden im Monat für euch haben. Wollt ihr die Zeit dann nicht intensiv für kuschelige Zweisamkeit und gemütliche Fernsehabende im Bett mit einer Schüssel Chips oder Popcorn nutzen? Das sind die einzigen paar Stunden, die ihr miteinander verbringen könnt, in denen ihr die Möglichkeit habt, persönlich miteinander zu sprechen, einfach zusammen zu sein, daher wollt ihr keine Sekunde verschwenden und die Zeit mit eurem Schatz intensiv verbringen.
Und was ist dann mit euren Freunden oder eurer Familie? Völlig vertieft könnt und wollt ihr euren Partner nicht "loslassen" oder "teilen". Es ist sowieso sehr wenig Zeit da, warum solltet ihr sie damit vergeuden, um auf Party-Tour mit den Freunden gehen? "Die sind nächstes Wochenende ja auch noch da und verstehen das sicherlich, dass ich dieses Wochenende nicht kann." Am liebsten würdet ihr euch in der kostbaren, wenigen Zeit nur mit euch selbst und eurer Liebe beschäftigen.
Aber was ist, wenn ihr der Meinung seid, dass mit Freunden und Familie nach wie vor sehr viel Zeit verbracht werden muss? Dann habt ihr im Gegenzug gar keine Zweisamkeit mehr, es kann nicht mehr viel vertraut miteinander gesprochen werden, da einfach die Zeit fehlt, und ihr würdet euch höchstwahrscheinlich auseinander leben. Kommunikation ist das A und O in einer gut funktionierenden Beziehung. Selbst wenn alles mit den Mitmenschen im Umfeld klappt, könnte es Probleme geben, wenn Alltags kaum miteinander gesprochen wird und sich so Misstrauen aufbaut. Gründe hierfür könnten Stress in der Schule/auf der Arbeit oder verschiedene Schul-/Arbeitszeiten sein. Erzählt der Partner, dass er zu einer/einem Kollegin/Kollegen geht, dann fühlt es sich gleich komisch an, da ihr den "Freund" nicht kennt und ihn nicht einschätzen könnt, genauso wenig wisst ihr, ob es wirklich "nur" ein Freund ist und kein/e Geliebte/r. Da spielt Vertrauen eine sehr große Rolle. Vertrauen ist Grundvoraussetzung für jede Partnerschaft, und wenn dies kaum oder gar nicht vorhanden ist, dann wird es früher oder später große Probleme geben.
Um nochmal zum Problem "Zeit" zurückzukommen: Also ist es im Prinzip egal, was gemacht wird? Bei Wochenenden zu zweit fühlen sich Freunde und Familie vernachlässigt, und wenn ihr zusammen etwas mit ihnen unternehmt, dann fehlt euch die dringend benötigte gemeinsame Zeit?
Nein, zum Glück ist es nicht so. Meiner Meinung nach kann eine Fernbeziehung gut funktionieren, genau wie in einer "normalen", allerdings ist es natürlich anders und es muss mehr beachtet und Kompromisse eingegangen werden.
Wenn das Finanz-Problem gelöst ist, dann steht einer solchen Beziehung nichts im Wege, vorausgesetzt beide wollen es, lieben sich, vertrauen einander und sind eben bereit Kompromisse einzugehen.
Ich denke, selbst wenn man seine Liebe nur ein Mal im Monat sehen kann, ist es möglich, eine gut funktionierende Beziehung zu führen. Die wenige Zeit muss gut genutzt werden, auf keinen Fall dürfen die Stunden zu zweit fehlen, aber es müssen auch Freunde und Familie besucht werden. Zwar nicht so oft, wie in einer "normalen" Beziehung, aber es ist notwendig, damit der Partner in das Leben integriert werden kann, und dazu gehören auch die Mitmenschen. Die/der Lebensgefährtin/Lebensgefährte soll und muss schließlich zum Leben dazugehören und sie/er möchte sicherlich auch wissen, mit welchen Menschen man Kontakt hält und wer der beste Freund ist. Natürlich will sie/er auch irgendwann die Eltern kennenlernen und umgekehrt.
Eine feste Bindung entsteht durch gemeinsame Erlebnisse, das heißt, man sollte auf keinen Fall nur zu Hause sitzen und die Zeit genießen, indem man im Bett liegt und fern sieht. Früher oder später würden beide gelangweilt werden. Die Stunden können auch wunderbar bei gemeinsamen Unternehmungen genossen werden, wie zum Beispiel ein Kinobesuch, ein Spaziergang im Park, der Besuch auf einem Trödelmarkt, Shoppen gehen, Eisessen oder ganz klassisch ein romantisches Abendessen im Restaurant. Das Gleichgewicht zwischen Zweisamkeit, Unternehmungen und Soziales muss gehalten werde. Wie die Zeit verteilt wird, liegt im eigenen Ermessen des Paares.
Am Rande: Würde das Paar zusammen wohnen, würde noch das eigene Hobby dazuzählen. Es ist sehr wichtig, dass sich beide Partner auch alleine beschäftigen können und nicht auf den Anderen angewiesen sind. Sonst würde es irgendwann Streit geben, da sich einer bedrängt fühlt und der Meinung ist, er würde eingesperrt werden und hat keine Zeit mehr für sich.
Zwei weitere Grundvoraussetzungen sind Vertrauen und Kommunikation. Ohne die beiden Punkte wird keine Partnerschaft funktionieren, und bei einer Fernbeziehung sind sie sogar noch wichtiger als sonst. Man muss dem Partner vertrauen können, dass er, trotz der Distanz, treu bleibt. Aufgrund der Entfernung bleibt einem auch nur Vertrauen über, mit Kontrolle kommt man da nicht weit (kommt man nie...). Mit Geschick und ein wenig Intelligenz könnte man in einer Ferneziehung eine Affäre leicht verheimlichen, da der Partner kaum bei einem ist und so auch nichts mitbekommt. Natürlich ist Betrug das Allerletze und ich wünsche keinem, dass er jemals betrogen und enttäuscht wird, aber leider zeigt das wahre Leben etwas Anderes... - Aber nun gut. Neben Vertrauen spielt Kommunikation eine große Rolle, und wenn jetzt jemand denkt "Klar, ich erzähle ihr/ihm täglich die positiven Erlebnisse des Tages, damit unsere Beziehung, die schon so nicht einfach ist, nicht mit unnötig negativen Gefühlen beeinflusst wird.", dann weiß sie/er nicht, was damit gemeint ist. Es soll kein Smalltalk gehalten werden, sondern das Paar muss sich gegenseitig aus seinem Leben erzählen. Egal, ob es die Freude über den neu gekauften Pulli oder der Ärger mit dem Schüler/Arbeitskollegen ist, alles gehört zum Leben dazu, genau wie der Partner. Gerade, da man sich im Alltag nicht sehen kann, ist es besonders wichtig, dass man sich den Alltag telefonisch, per Webcam oder im Chat mitteilt, wobei letzteres natürlich die unpersönlichste Methode ist. Beide sollen das Gefühl haben trotz der Entfernung im Leben des Partners dabei zu sein und teilgenommen zu haben.
Das aller wichtigste bei einer Fernbeziehung ist die Aussicht auf ein Ende, eine Besserung. Es muss von vornerein geplant werden (ansatzweise), wie die Zukunft grob aussehen wird, denn so eine Liebe ist leider nicht für die Ewigkeit möglich. Entweder muss einer von beiden zu dem Partner hinziehen, oder beide wählen einen neuen Wohnort und ziehen dort zusammen. Es müssen Kompromisse geschlossen werden. Selbst bei der Wahl des neuen Ausbildungsortes oder der Universität/Hochschule, kann schon an die Zukunft gedacht werden. Das ist sicherlich der schwierigste Punkt von allen, da einer von beiden (oder beide) alles aufgeben müssen, den Job, die Wohnung, Freunde, Familie, um mit dem Partner woanders ein gemeinsames Leben zu beginnen. Die Freunde und Familie zu besuchen ist dann nicht mehr so häufig möglich. Scheitert diese Beziehung irgendwann, aus welchen Gründen auch immer, dann steht der eine völlig alleine da, deshalb sollte diese Entscheidung gut durchdacht werden. Steht von Anfang an bei beiden fest "Nein, ich möchte von hier niemals wegziehen, es ist meine Heimat, hier sind meine Freunde, meine Familie.", dann hat eine Beziehung kaum einen Sinn, da sofort klar ist, dass sie niemals zusammen leben würden.
Voraussetzungen für eine Fernbeziehung in Stichworten:
- Vertrauen
- Kommunikation (Freude und Ärger)
- Zweisamkeit (alleine gemütlich auf dem Sofa)
- Unternehmungen (Kino, Spaziergang, Eisessen, Restaurant)
- Freunde (Besuche, Partys usw.)
- Familie (Kaffeetrinken, Unterhaltungen usw.)
- Aussicht auf ein Ende der Distanz
Eine Fernbeziehung ist meiner Meinung nach möglich, wenn die oben genannten Punkte eingehalten werden. Natürlich zählen diese auch zu einer "normalen" Beziehung, aber bei einer Beziehung auf Distanz muss darauf besonders Wert gelegt werden, da man, meiner Meinung nach, schnell den Blick für die Realität verliert, da man zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, die wenige Zeit genießt und auf Punkte, wie Freunde, nicht mehr so sehr achtet oder es nicht für notwendig empfindet, etwas zu ändern. Selbst eine Internetfreundschaft kann sich durchaus als schwieriger erweisen.
Was denkt ihr? Hat eine Fernbeziehung Zukunft, oder soll man es lieber gleich sein lassen? Ist es ein Versuch wert? Muss bei dieser Beziehungsform auf etwas Besonderes geachtet werden?
Gedicht: Willkommen und Abschied
Es schlug mein Herz, geschwind, zu Pferde!
Es war getan fast eh gedacht.
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stand im Nebelkleid die Eiche
Ein aufgetürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch frisch und fröhlich war mein Mut:
In meinen Adern welches Feuer!
In meinem Herzen welche Glut!Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich - ihr Götter!
Ich hofft es, ich verdient es nicht!Doch ach, schon mit der Morgensonne
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen Küssen welche Wonne!
In deinem Auge welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden
Und sahst mir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück!Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), dt. Dichter, Schriftsteller
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Dracovina
08. November 2011, 18:04 Uhr
Das stimmt... diesen Punkt habe ich hier gar nicht beachtet. Bei einer Fernbeziehung lernt man zuerst wirklich nur die "guten Seiten" kennen und weiß gar nicht so wirklich, ob und wie man im Alltag miteinander auskommt. Das muss man wie eine Beziehung auf Distanz ausprobieren, das Risiko eingehen. Wenn man denn dazu bereit ist.